– Eine Erzählung vom Pfadfinden und Spaß haben –

Wer einmal einen etwas tieferen Blick in das Pfadfinderwesen geworfen hat, wird festgestellt haben, dass es auch hier komplexer Strukturen bedarf, um die Zusammenarbeit aller Verantwortungsträger eines Stammes zu gewährleisten.

Das klingt sehr theoretisch und kompliziert. Was meine ich damit? Nun, verschiedene Leute müssen Aktionen planen, eine Übersicht über die Mitglieder behalten, das Geld verwalten und so weiter. Als Stammesführung trägt man sogar die Verantwortung für den ganzen Stamm und muss wichtige Entscheidungen treffen, und nicht zuletzt finden ja auch noch Gruppenstunden statt, die organisiert und durchgeführt sein wollen.

Eine Menge Arbeit hinter den Kulissen. Da stellt sich doch die Frage: wie lernt man so etwas? Ein großer Teil ist sicherlich Erfahrung, die sich mit der Zeit ansammelt. Doch um die Mitglieder eines Stammes auf die Stammesarbeit vorzubereiten, gibt es auch sogenannte Kurse, die regelmäßig von den Landesverbänden durchgeführt werden.

Zusammen mit acht anderen sächsischen Pfadfindern und Pfadfinderinnen hatte ich dieses Jahr in der Osterzeit die Gelegenheit, den in Immenhausen stattfindenden Grundkurs zu besuchen. Ausgerichtet wurde dieser vom Landesverband Rheinland-Pfalz/Saarland, auch liebevoll RPS genannt. Immenhausen bot sich dafür an, da dort das Bundeszentrum des BdP ansässig ist und somit alle Voraussetzungen für eine solche Veranstaltung bereits vorhanden waren.

Der Kurs selbst war in mehrere Teilkurse gegliedert, die je nach Aufgaben der Teilnehmer im Stamm verschiedene Themen behandelten. So gab es einen Teilkurs für Meutenführungen, einen für Sippenführungen und einen für die Stammesführung. Unabhängig von dieser Einteilung wurden die Teilnehmenden aber zum Wohnen und Schlafen in verschiedene Häuser eingegliedert. Ein durchaus gelungenes Konzept, da man so einen Großteil der anderen Leute relativ schnell kennenlernte und sich austauschte. Da die Teilnehmenden aus mehreren Landesverbänden und vielen unterschiedlichen Stämmen kamen, gab es von Anfang an viel zu hören, zu lernen und zu erzählen.

Noch bevor die thematischen Einheiten jedoch begonnen hatten, wurden wir bereits mit dem übergreifenden Thema des Grundkurses konfrontiert: Doctor Who. Wem die Serie bis dahin unbekannt war, der wurde schnell in die Welt des durch Zeit und Raum reisenden Timelords eingeführt, die dem Kurs als Spielgeschichte einen Rahmen gab. Die damit einhergehende Einteilung der Teilnehmenden in verschiedene außerirdische Völker mit entsprechenden Accessoires war bereits die erste Möglichkeit, nicht nur einen näheren Blick auf die anderen, sondern vor allem auch auf die Teamer zu werfen. Diese weckten von Anfang an den Eindruck einer bunt gemischten und lustigen Truppe, zeigten aber auch eine beachtliche Kompetenz, was die Organisation und den Umgang mit anderen Menschen anging.

Hier könnte jetzt eine akribische Beschreibung jedes einzelnen Tages mit dazugehörigem Ablauf, Uhrzeiten und Ereignissen folgen, unterstützt durch detailgenaue Erläuterungen und penible Auflistungen. Da dies jedoch oftmals schwer verdauliche Lektüre ist, möchte ich die ganze Sache ein wenig offener und weniger chronologisch angehen.

Zu den Teilkursen kann ich nur eine begrenzte Sichtweise beleuchten, da ich lediglich den Teilkurs für Sippenführungen miterlebt habe und keine genaue Einsicht in die Ereignisse der Meuten- und Stammesführungen habe. Der Sippenführungsteilkurs war aber nicht nur inhaltlich von höchster Qualität, sondern auch gut strukturiert und mit genügend praktischen Methoden zur Auflockerung durchsetzt. Wir lernten, wie eine Sippe oder eine Gilde in einem Stamm aufgebaut ist, welche Möglichkeiten und Aktionen es gibt, wie man am besten mit den Sipplingen, besonders in Bezug auf die variable Altersspanne, umgehen sollte, welche Thematiken in Sippenstunden behandelt werden können und sollten, welche Rollenverteilungen es innerhalb einer Gruppe gibt, wie man Konflikte lösen kann und noch viel mehr – es würde den Rahmen sprengen, hier eine ganze Woche an Inhalten zusammenzufassen. So theoretisch, wie das Programm nun vielleicht klingt, war es jedoch nicht. Die Teamer, die diesen Kurs nicht nur fantastisch vorbereitet, sondern auch durchgeführt haben, schafften es, zwischen die thematischen Einheiten kleine praktische Übungen, Spiele oder teambildende Aktionen einzubauen. Ob eine kurze Runde „Kotzendes Känguru“ zum Auflockern, ein Streitgespräch mit fiktiven Situationen und Konflikten oder ein Rollenspiel, um Schwerpunkte oder auch Probleme bei der Planung von Aktionen hervorzuheben, es wurde nie langweilig. Dazu gesellte sich das fast durchgängig schöne und sonnige Wetter, welches das Arbeiten, Spielen oder Entspannen im Freien ermöglichte.

Außerhalb der gruppenspezifischen Einheiten gab es auf dem Kurs sehr viel zu entdecken, zu erleben mitzugestalten. Im Laufe der Woche wurde eine Bandbreite von verschiedensten Spielen für alle Altersgruppen gespielt. Das endete zum Teil sehr lustig, manchmal mit blauen Flecken und des Öfteren mit schmutzigen Klamotten, doch der Spaß war es in jedem Falle wert. Das Essen, welches ja häufig als selbstverständlich angenommen wird, wurde in zauberhafter Manier von den Teamern zubereitet, die ursprünglich den (leider ausgefallenen) R/R-Teilkurs leiten wollten. Mit durchgängig veganen Menüs füllten sie allen 60 Teilnehmenden die Mägen und ernteten dafür Lob und Dank. Neben den Teilkursen fanden noch einige Einheiten für alle statt, die sich zum Beispiel mit dem Thema „Recht und Verantwortung“ oder der Vorstellung der Stiftung Pfadfinden befassten. Außerdem gab es eine sehr interessante und diskussionsfreudige Einheit mit zwei Mitgliedern des AK Rainbow des BdP sowie einen kleinen Einblick in die Entwicklungspsychologie.

Die einzelnen Häuser waren nach einem rotierenden Plan in verschiedene Dienste eingeteilt, die für das Zusammenleben nötig waren. So gab es neben einem Küchen- und einem Toilettendienst beispielsweise auch einen Dienst, der die allseits beliebte Morgen- und die tatsächlich gerne besuchte Abendrunde vorbereiten durfte. Ein anderer Dienst schrieb sich die Information aller Teilnehmenden auf die Fahne: zum Abendessen gab es immer eine kurze Tagesshow, moderiert von den jeweils Verantwortlichen. Hochprofessionell wurden dort die neuesten Nachrichten kundgegeben. Da die Beiträge jedoch von ernst über realistisch bis hin zu offensichtlich ironisch variierten, war es jedes Mal eine Freude, über den Wahrheitsgehalt der Informationen zu spekulieren.

Was man noch so zu sehen bekam, wenn man gedankenverloren über die Wiese schlenderte: Leute, die in einem Menschenhaufen über- und untereinander liegen. Gruppen von Menschen, die in eines der mannigfaltigen Spiele vertieft sind. Kleine Grüppchen oder einzelne Personen, die sich mit einer Gitarre und einem Liederbuch für eine kleine Singerunde in den Schatten der Bäume gesetzt haben. Gruppen von Menschen mit seltsamen außerirdischen Kopfschmücken, die sich zur Planung drinnen oder draußen zusammengesetzt haben. Aufgehängte Promibilder aus Zeitschriften, deren Gesichter mit denen der Teamer überklebt sind. Einen Lauch mit Gesicht. (Ja. Manchmal muss man einfach vom Hinterfragen absehen und die Situation in ihrer Absurdität und Komik genießen.) Ein reich mit Obst und Kuchen bedeckter Tisch zur Vesper. Und viele müde, aber vor allem viele fröhliche, gut gelaunte und motivierte Gesichter, die den Kurs in vollem Umfang genießen.

Ein weiterer Programmpunkt, der hier noch Erwähnung finden soll, war die Kundschaft. Die Teilnehmenden wurden dabei in kleinen Gruppen von sechs bis acht Personen nach Kassel geschickt, um dort verschiedene Einrichtungen und Projekte zu besuchen oder sich mit einer bestimmten Thematik zu befassen. Auf der Liste standen beispielsweise die Kasseler Werkstatt (eine Ausbildungseinrichtung für Leute mit Assistenzbedarf), ein Standort der Heilsarmee oder eine Einrichtung von Pro Familia, die bei allen Fragen rund um das Thema Sexualität und Schwangerschaft unterstützend zu Seite steht. Eine Gruppe beschäftigte sich jedoch zum Beispiel auch mit dem allgegenwärtigen Gebrauch von Plastik und der Frage, ob man heutzutage noch plastikfrei leben kann. Nach den entsprechenden Terminen übernachteten die Gruppen dann in verschiedenen Orten in Kassel, um am nächsten Tag zurückzukehren und ihre Erlebnisse und Eindrücke mit den anderen Teilnehmenden zu teilen.

Der Grundkurs ging nach einer guten Woche und vielen thematischen Inhalten, aber auch viel Spaß und Freude, schließlich zu Ende. Sicherlich hat jeder den Kurs ein wenig anders erlebt, unterschiedliche Dinge gesehen, verschiedene Aktionen mitgestaltet. Es waren sich jedoch im Abschlusskreis alle einig, dass die vergangene Woche nicht nur inhaltlich und im Bezug auf die Pfadfinder- und Stammesarbeit unglaublich nützlich war, sondern dank der Hingabe, Begeisterung und dem Engagement der Teamer und Organisatoren einen durchgängigen Erfolg darstellte.

Dann begaben sich alle schrittweise auf den Heimweg, Umarmungen kündeten den Abschied an und hier und da floss eine Träne. Doch zum Teil bereits während der Freizeit, zum Teil in den Teilkursen waren bereits viele Pläne geschmiedet worden, wann und wie man sich am besten wiedertreffen könnte. Der Abschied wurde also dadurch erleichtert, dass wir wussten: wir sehen und wieder.

Vielleicht ja sogar im nächsten Grundkurs im Jahr 2020.

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